Was Reiseleiter verschweigen - 10 merkwürdige Kurzgeschichten

01

Ort der Handlung: Dubai. Zeit: Mitternacht. Einer unserer Reiseleiter erwachte mitten in der Nacht durch merkwürdige, perkussive Geräusche. Es klang so als würde jemand im Wandschrank auf Kleiderbügeln aus Draht Schlagzeug spielen. Das metallische Tippeln steigerte sich alle paar Minuten zu einem kleinen Crescendo, zumindest hörte es sich so an. Schliesslich wurde es unserem Mitarbeiter zu bunt: Er stand auf, öffnete den Schrank – und staunte nicht schlecht als er dort eine Ratte entdeckte, die die hängenden Kleiderbügel als Kletter-Schaukel benutzte! Es versteht sich von selbst, dass er noch mitten in der Nacht zur Rezeption eilte und auf ein Zimmer ohne musikalische Untermieterin bestand.

02

Es gibt Spitzbuben, die glauben besonders clever zu sein. Die vier Engländer, die in Genf einen unserer Busse bestiegen, dachten vielleicht sie hätten den Master-Plan ausgeheckt um an neue Skier zu kommen. Gratis, versteht sich. In Saas-Fee, vor ihrem Hotel, veranstalteten sie jedenfalls ein mordsmässiges Theater und drohten uns sofort mit der Polizei. Der Grund? Den Briten fehlte angeblich ihr gesamtes Gepäck, also vier nagelneue, extrem teure Skiausrüstungen – zumindest sagten sie das. Guter Rat war in diesem Fall wirklich teuer, denn unser Car hatte vor Saas-Fee noch in anderen Ausladeorten gehalten, und die Möglichkeit, dass Gepäck versehentlich ausgeladen worden war, liess sich nicht von der Hand weisen – selbst wenn es in 5 Jahrzehnten noch niemals einen Fall gab, indem sich ein Gepäckstück nicht mehr auffinden liess. Tatsächlich schaltete sich die Polizei ein und nach Befragung unseres Fahrers, erhielten die Briten das O. K. von ihrer Reiseversicherung, sich neue Ski-Ausrüstungen zu besorgen. Das Ganze hatte aber ein Nachspiel: Wie so üblich bei Schäden, die sich auf zigtausende Franken beziffern, stellte die Versicherung genauere Nachforschungen an. So kam heraus, dass die vier Briten in London OHNE GEPÄCK eingecheckt hatten. Die dreisten Betrüger wurden noch bei ihrer Ankunft in Heathrow samt ihrem nagelneuen Material dingfest gemacht.

03

Ort der Handlung: Gardasee. Zeit: Abend. Kann es für einen Reiseleiter etwas Schlimmeres geben, als wenn eine Dame spurlos verschwindet? Es geschah während einer Reise zum Gardasee, nach einem Tagesausflug – eine allein reisende Dame schien plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Trotz Vermissten-Anzeige und einer ausgeweiteten polizeilichen Suchaktion blieb sie einfach verschollen. Wie gross mochte die Erleichterung des Reiseleiters gewesen sein, als die Vermisste am Abend vor der Heimreise das Hotel betrat? Offenbar hatte sie auf dem Tagesausflug einen «tollen Mann» kennengelernt und beschlossen mit ihm, dem feurigen Italiano, das Wochenende an dem schönen See zu verbringen. Tja, wo die Liebe hinfällt – niemand ist gegen Amors Pfeile gefeit.

04

Ort der Handlung: Genua. Zeit: Morgen. «Das gibt’s doch nicht... Ich glaub, mein Schwein pfeift!» Man muss sagen, unser Fahrer hatte sich noch gut im Griff, als er im Hafen von Genua einen vermeintlich leeren Kofferanhänger öffnete und darin einen Haufen alter Möbel entdeckte. Tatsächlich hatte er den Auftrag gehabt eine Reisegruppe von einem Kreuzfahrtschiff abzuholen, und – da man mit viel Gepäck rechnete – sollte er einen leeren Anhänger mitbringen. Was er nicht ahnte: Ein Kollege hatte am Abend davor einen privaten Anhänger mit lauter Hausrat neben dem Bus abgestellt. Das sah man dem Anhänger freilich von aussen nicht an.

05

Manchmal merkt man einfach, dass etwas nicht stimmt. In einem unvergesslichen Sommer, auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeerraum sah ich zwei langjährigen Stammgästen an, dass sie etwas bedrückte. Ich kannte das Paar von vielen Carreisen her und empfand ihre Blicke merkwürdig verschlossen «Ist etwas nicht in Ordnung?» Die beiden drucksten eine Weile herum. Die Kabinen seien wirklich schön, auch wegen der grossen Panorama-Fenster, durch die man abends bei Sonnenuntergang hinaus aufs Meer schauen könnte... Schöner wäre es allerdings noch, könne man die Liegestühle auf dem Balkon auch benützen, schliesslich habe man ja eine Balkonkabine gebucht. – Liegestühle als Dekoration auf einem Schiff? Das kam mir doch recht merkwürdig vor. Ich bot den Gästen daher an, mir die Sache einmal selbst anzusehen. Fünf Minuten später stand ich bereits vor der Glastür, durch die man den herrlichen Schiffsbalkon sehen konnte. «Sehen Sie?» Der Gast legte die Hand auf den Griff und versuchte die Tür mit sanfter Gewalt aufzuziehen, ohne Erfolg. «Sie will sich einfach nicht bewegen, nicht einen Millimeter. Vielleicht ist es ja eine verriegelte Tür?» Das war sie nicht und des Rätsels Lösung war viel einfacher: In der Regel haben Balkonkabinen auf Kreuzfahrtschiffen aus Sicherheitsgründen Schiebetüren. So war es auch auf diesem Schiff. Mit einem einzigen Handgriff konnte ich den Frust der Gäste beheben. Ach, wäre es doch nur immer so leicht.

06

Zu den aberwitzigsten Begebenheiten an Bord eines vornehmen Kreuzfahrtschiffs gehört zweifellos der Anblick eines Menschen im Pyjama am Frühstück-Büffet. In diesem Fall wurde der Pyjama sogar von einem recht offenherzigen Nachthemd begleitet, die Dame, die es trug, war sichtlich bemüht kein Aufsehen zu erregen. Eingekeilt zwischen zwei Mitreisenden, die ihr Deckung boten, schob sie sich am Büffet entlang um dann in der hintersten Ecke des Speisesaals zu verschwinden. Später erst erfuhr ich was die Ursache für diese Aufmachung war: Wie es sich auf Kreuzfahrtschiffen am letzten Abend der Reise gehört, hatten unsere Gäste am Vorabend ihre Koffer gepackt und vor die Tür gestellt, damit sie vom Gepäckservice abgeholt werden konnten. Aus Versehen hatten sie dabei auch die Kleider für den Reisetag miteingepackt. Beide erwachten dann simultan am frühen Morgen mit einem kläglichen Schrei auf den Lippen – da waren die Koffer schon längst vom Bordpersonal abgeholt worden.

07

Stellen Sie sich vor Sie fahren in Visp mit 3 Cars los um 140 Gäste zum Tattoo-Festival nach Edinburgh Schottland zu bringen. Gerade als Sie das Fährschiff erreichen um nach Hull überzusetzen, wird Ihnen eine ziemlich unangenehme Meldung gemacht: Einer der Chauffeure hat seine Papiere verloren, man verweigert ihm daher den Zutritt zur Fähre. – Was jetzt? – Die beiden anderen Fahrer schaffen die drei Busse nacheinander an Bord, doch Ihnen schwant bereits, was Sie auf der anderen Seite des Ärmelkanals erwartet – eine völlig unmögliche Situation. Kurz und gut, unser junges Dispoteam – Jörg, Marco und Fabio – versuchte fieberhaft während der nächtlichen Überfahrt einen Ersatzfahrer in Grossbritannien zu finden – vergebens. Während die Zeiger der Borduhr unbarmherzig vorrückten, kam ihnen schliesslich die Idee, Sandy, einen neuen Disponenten, der auch einen Busführerschein hatte, aus den Ferien zu holen. Telefonisch wurde ihm die Route erklärt und schon sauste der «Frischling» – die Reisevorbereitungen unter dem Arm – mit dem Taxi zum Flughafen Zürich. Am nächsten Morgen nahm er die erste Maschine nach England und sprang dort erneut in ein Taxi, dass ihn nach Hull bringen sollte... Unterdessen hatte die Fähre besagten Hafen erreicht. Die beiden Chauffeure liessen sich diesmal schon mehr Zeit als gewöhnlich die Busse von Bord zu fahren. Schliesslich hatten die Gäste von dem Malheur nichts mitbekommen und freuten sich bereits auf die Fahrt in die schottische Hauptstadt. Endlich war der «herrenlose Car» an der Reihe und das Fahrer-Duo bereitete sich innerlich darauf vor, den Gästen reinen Wein ein[1]schenken zu müssen... Genau in diesem Moment sauste ein Taxi mit quietschenden Reifen heran – Sandy stieg aus. «Guten Morgen allerseits.» Locker-lässig – als wäre nicht das geringste geschehen – schlenderte er zu seinem Car. «Ja, worauf warten die Herrschaften denn? Alle einsteigen bitte!»

08

Eine Ewigkeit scheint es her – diese Fahrt zum italienischen Wallfahrtsort Padua, nicht weit von Venedig entfernt. Es geschah zu einer Zeit, die man sich heute kaum noch vorstellen kann, einer Zeit ohne die segensreiche mobile Kommunikation, infolgedessen also ohne Navi, Google Earth, Street View und anderen digitalisierten Formen der Welt. Anno dazumal arbeitete man sich mit sperrigen Faltplänen von Strassenschild zu Strassenschild vor oder fuhr nach Gefühl, was meistens auch funktionierte. An diesem Tag war ich mit einem Setra S6 unterwegs, ein schöner, geräumiger Bus mit einem Gepäckträger auf dem Dach. Wir waren inzwischen in Padua und unser Ziel, die Basilika des Heiligen Antonius, war laut Stadtplan ganz in der Nähe. Eine halbe Viertelstunde zottelten wir so durch stets schmaler werdende Gassen und ich ahnte in diesem Moment, wir hatten uns heillos verfranzt. Es ging plötzlich weder vor, noch zurück, allerlei italienisch geparkte Autos versperrten den Weg. Wir stiegen aus und besahen uns die Misere: Die Wagen standen tatsächlich so dicht an unserem Bus, dass nicht einmal die berühmte Stecknadel zu Boden hätte fallen können, sie wäre wohl zwischen den Lackschichten steckengeblieben. «Diese verflixten Italianos», brach es endlich aus unserem gestressten Fahrer heraus, «Mensch, Kurt, jetzt stecken wir aber so was von in der Klemme!» Ich ermahnte den Guten nicht so laut zu fluchen, der Heilige Antonius war ja nicht weit. Und ausserdem wurde hinter uns bereits kräftig gehupt. Schliesslich sprach uns ein Passant an, man könne die Autos doch einfach umsetzen, ein paar kräftige Männer und die Sache sei in zehn Minuten «behoben». Ich glaubte erst meinen Ohren nicht trauen zu können. Tatsächlich erwiesen sich die kleinen Kisten aber als echte Fliegengewichte und mit den vereinten Kräften unserer Gäste wurden so ein Dutzend Autos versetzt. Ob der Heilige Antonius dabei doch etwas mitgeholfen hat? – Wir werden es nie erfahren.

09

Geografisch gilt England auch heute noch als Teil von Europa, selbst wenn das vornehme Regenschirmvolk, das dort lebt, kürzlich beschlossen hat eigene Wege zu gehen. In der Tat hatten auch wir schon recht früh unsere Erfahrung mit diesen etwas eigenartigen Briten gemacht. Im Frühjahr 1988 setzten wir mit Pfarrer Marcel Margelist und einer Jugendgruppe über den Ärmelkanal. Der als Bildungsreise getarnte Ausflug ins pralle Leben sollte jedoch bald einen Dämpfer erfahren. Gebucht hatte die Gruppe nämlich ein kleines Country Inn, ein pittoreskes, mitten im Grünen gelegenes Hotel nicht weit von Greater London entfernt. Schon die Zufahrt durch eine laubenartig zusammengewachsene Allee war ein Traum. Leider hin[1]gen einige Äste so tief, das sie fast mit der Windschutzscheibe des Cars kollidierten. – Was tun? Natürlich selbst ist der Mann! Das wissen auch echte Walliser. Da die meisten Jugendlichen gewisse Fertigkeiten aus der Bastelstube mitbrachten, und der «Gang» ins im Oberwallis noch immer zum gängigen Mannbarkeitsritus gehört, hatte tatsächlich einer eine langstielige «Räumaxt» dabei. In Minuten war eine Schneise ins überhängende Dickicht geschlagen, armdicke Äste pflasterten den Weg des Recken zurück zum Car, wo ihn die Gruppe dreimal hochleben liess. Nach dem Einchecken entspann sich die Sorte unbeschwerte und nicht immer ganz leise Stimmung, die Abende unter Jugendlichen in einer neuen Umgebung mit sich bringen muss. Nur wie erstaunte selbst unser Seelenhirte als kurz vor Mitternacht zwei Bobbies auftauchten und uns höflich aber bestimmt baten, unverzüglich das Hotel zu verlassen. Offenbar war der Besitzer über das Kleinholz in seiner Zufahrt gestolpert, und da er die Zusammenhänge wohl nicht verstand, hatte er die Polizei unverzüglich über diesen «Akt von Vandalismus» informiert. Offenbar hatte er noch nie echte Walliser erlebt! Glücklicherweise fand sich nach einer Übernachtung im Bus schnell ein neues Hotel und der etwas unglückliche Auftakt lief auf eine einzigartige Woche Grossbritannien hinaus.

10

Es geschehen immer dann Wunder in Lourdes, wenn man sie nicht mehr erwartet. Unser Reise-Grüppli hatte sich schon auf die Rückfahrt eingestellt, als ein Mann am Nebentisch plötzlich etwas ungelenk auf den Tisch kletterte. «Jetzt kann ich wieder laufen!», rief er, was zur Folge hatte, dass sich einige Pilger an unserem Tisch bekreuzigten und ein seligmachendes Ave Maria anstimmten. Andere gingen noch weiter: «Hört, hört! Es ist uns an diesem heiligen Ort ein Wunder geschehen!» Nur unser Reiseleiter wollte sich von der Stimmung nicht so recht mitreissen lassen. – Wie er das dann meine?, fragte er den Mann auf dem Tisch. Der wartete bis sich der Tumult gelegt hatte und antwortete dann trocken: «Mein Wagen wurde in Lourdes gestohlen. Jetzt kann ich wieder laufen, so meine ich das!»

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