Wenn der Scheich mal shoppen geht

Wie – ein Scheich?» Als ich an diesem Morgen unsere Zentrale betrat, waren die Mitarbeiter ganz durcheinander. Vor allem Trudi, unsere Telefonistin, die den Anruf aus Dubai entgegengenommen hatte, wirkte als hätte sie gerade eine Erscheinung gesehen. Etwas wie von Tausend und einer Nacht schien ihr noch in den Ohren zu klingen. «Aber ich sag dir’s doch, Kurt... Ein richtiger Scheich! Und was für ein vornehmer Mann! Er will einen ganzen Car mieten, für sich und seine Familie. Ich glaube, er hat was von dreissig Personen gesagt.» Sie starrte auf ihre stenografierten Notizen. «Wir sollen für ihn eine zweiwöchige Tour organisieren... In Genf geht es los. Und er will ein Car mit Fernsehempfang!» «Ach, weiter nichts?»

Ich hatte meinen Mantel an die Garderobe gehängt und spielte mit dem Gedanken, ob ich mich gleich dazu hängen sollte: Vor zehn Jahren, als die erste Ölkrise über uns hereingebrochen war, da hätte ich gerne einen Scheich als Kunden gehabt. «Ich denke mal, du hast dich verhört.» «Dann ruf ihn besser mal an!», schallte es bissig zurück. Es mag sein, dass ich in diesem Augenblick bereits Bauklötzer staunte, doch wie gross wurden diese Klötzer als ich am Telefon  von den Sonderwünschen des Kunden erfuhr: Ein Bus mit eingebauten Fernsehgeräten musste es sein... «For the children – für die Kids», wie der Sprecher des Scheichtums mehrfach betonte. Und von denen gab es ein Dutzend. Demnach musste auch noch ein Extra-Kühlschrank eingebaut werden, denn: «Kids like ice cream.» Daran konnte kein Zweifel bestehen, doch halten wir einmal kurz fest, dieser Auftrag ereilte uns Mitte der Achtziger Jahre.

Während es heutzutage Routine geworden ist, aus jedem ordinären Transporter einen luxuriösen Firmenjet auf Rädern zu machen, war es damals verpönt Cars komplett umzubauen, vor allem unsere Cars, die ohnehin höchsten Ansprüchen genügten: Klimaanlage, Toilette, Getränkefrigor, Minibar, Kaffeemaschine – wir hatten schon eine Menge Extras an Bord, doch Fernsehgeräte? Wer käme überhaupt angesichts einer Fahrt über Land auf die Idee in die Flimmerkiste zu starren? – Ach ja, die lieben Kinder natürlich... Nach langer Suche fanden wir einen passenden Lieferanten, der unseren Bus scheich-fähig machte, alles natürlich zum Preis von 10'000.- Franken, was ein Petro-Dollar-Milliardär natürlich aus der Portokasse bezahlt.

Frisch aus der Waschanlage und mit polierten Stossstangen kreuzten wir dann vor dem Genfer Hotel Bristol auf, in dem unser Gast und seine Frauenschar (fünf an der Zahl) residierten. Schon an der Rezeption erzählte uns die Concierge, ein Prachtgeschöpf von einer Klatschbase, die «Orientalen» hätten schon ihre eigene Sitten, man habe eine der Damen – «voll verschleiert bis auf die Fusssohlen» – aus dem Whirlpool gefischt. «Da hat ihr die Managerin aber gesagt, dass wir in der Schweiz unsere Kleider separat in der Maschine waschen... So geht das ja nicht!» Die Art, wie sie das sagte, brachte selbst unseren brottrockenen Fahrer zum Schmunzeln. «As-salamu alaykum – Friede sei mit euch!» Unser arabischer Kunde begrüsste uns stilecht, während seine Entourage – eine Schar aus bärtigen Turbanträgern, völlig verschleierten Frauen und Buben in kurzen Hosen – bereits zum Car wandelten. Zwei langhaarige afghanische Windhunde sprangen dazwischen herum und lieferten sich in der vor Furcht stockenden Drehtür des Hotels ein wildes Gebell. Erst unser Scheich schaffte es seine Vierbeiner zu beruhigen, wobei er die kurze Peitsche, die er am Bauchgurt seiner bodenlangen Tunika trug, nur einmal kurz zog.

Von gutgelaunter Wesensart wie er war, entschuldigte er sich bei den ebenfalls in der Karusselltür gefangenen Kontinentaleuropäern. Deren Kulturschockstarre wollte allerdings so gar nicht verfliegen. Wenn heute der saudische König Salman mit vierhundert Begleitern eine Genfer Nobel-Absteige mietet, dann finden das die Walliser normal, doch damals hatten sie vielerorts Mühe mit den morgenländischen Gästen gehabt. Zwar kannte man bereits Scheherazade Geschichten aus tausendundeiner Nacht, doch hielt man die eben für Märchen und nicht für Realität. Zu unserer Überraschung hatte der Scheich für den ersten Tag nur den Besuch von Warenhäusern wie dem Kaufhaus Loeb oder dem Grande Passage geplant. «Wives like shopping», erklärte er uns.

Wenn der Scheich mal shoppen übrigens lange bevor dieser Begriff zu einem Modewort für Wohlstandsbürgerinnen und ihrer wandelnden Brieftaschen wurde. Die Ehefrauen unseres Scheichs standen inzwischen am Car und debattierten lautstark über den Kofferraum. Eine von ihnen hatte sogar ihren Tschador gelüftet, um besser sehen zu können. «Gibt’s Probleme?» «Na ja...» Ruth, unsere Reise-Begleiterin, die sich mit der exotischen Klientel auf Englisch befasste, machte ein langes Gesicht. «Die Damen denken, der Kofferraum vom Car ist zu klein.» «Das ist lächerlich», erwiderte ich, «du kannst die Damen beruhigen: Der Car ist für fünfzig Personen samt Gepäck ausgelegt.» Die Bus-Stewardess nickte verstört, aber warf sich wieder in die schnatternde Meute. Ohne Erfolg. Zuletzt betätigte der Scheich, der natürlich den Sessel der Stewardess für eine Art Ehrenplatz hielt, ganz salopp den Hupenring unseres Cars – die Jagd-Saison auf westliche Güter war somit eröffnet.

Eine Woche später erzählte mir unser Fahrer, er habe doch einen Anhänger dranhängen müssen, die verpackten Einkäufe hätten sich dermassen im Inneren aufgestapelt, dass er Schwierigkeiten hatte nach hinten zu sehen – ganz zu schweigen von der Carrera-Bahn, die die «lieben kleinen Prinzen» (es waren ja Söhne des Scheichs) direkt hinter dem Cockpit aufgebaut hatten. Die für teures Geld eingebauten Fernsehgeräte hätten sie eigentlich nicht interessiert. Und der Kofferraum war übrigens schon nach zwei Tagen bis unter die Klappen gefüllt. «Ben Shoppen», – so nannte er unseren Scheich, wohl in Anlehnung an Karl Mays Romanfigur Kara Ben Nemsi, hätte stets bar bezahlt. Offenbar hatten seine Ganzkörperschleier hoch besohlten Frauen doch mehr zugeschlagen, als wir uns vorstellen konnten. «Manchmal haben die 50'000.- Franken an einem Nachmittag verbuttert, als wäre es nichts.»

Das Entladen des Cars dauerte dann fast einen halben Tag und irgendwann platzte es unserem Fahrer dann doch von den Lippen: Was habe der Herrgott sich wohl dabei gedacht, «dass Menschen, die offenbar Stroh im Kopf hätten, auch noch Geld wie Heu besässen». – Ob es da wirkkich einen Zusammenhang gab? Andererseits habe er etwas Arabisch gelernt, die Verschleierten hätten ihn stets morgens mit Mata sa-tantalique al-hafila? begrüsst, was ihm der Scheich höchstpersönlich mit «Wann fährt der Bus endlich ab?» übersetzt hätte. «Tja, ein famoser Kerl, an und für sich», so lautete sein abschliessendes Urteil und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es mit all dem Trinkgeld zusammenhing, dass ihm der Scheich zugesteckt hatte.

Tatsächlich hatten wir unseren «Ben Shoppen» fast liebgewonnen als wir uns einige Tage später von ihm verabschieden durften. Die spezialangefertigte Fernsehanlage, die er uns zum Abschied wie selbstverständlich vermachte, erinnert mich bis heute an seine Karawane auf Rädern. As-salamu alaykum

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